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Die von Karosserie REUTTER zertifizierten Originalfarben des Porsche 356
Der Porsche 356 – ein ikonisches Fahrzeug, eine Legende auf Rädern, das die Anfänge der Marke Porsche in Deutschland begründete. Gefertigt wurden die meisten Karosserien inklusive kompletter Innenausstattung vom Stuttgarter Karosseriewerk Reutter & Co. GmbH. Über 60.000 der insgesamt etwa 78.000 Fahrzeuge des legendären Sportwagens baute Reutter von 1950 bis 1963 für Porsche.
01/09/2025
Die von Karosserie REUTTER zertifizierten Originalfarben des Porsche 356
Weitere Hersteller mit deutlich geringeren Produktionszahlen waren Heuer, D’Ieteren, Karmann und Drauz. Ein wesentlicher Faktor für den Erfolg der Sportwagen aus Stuttgart war der Export. Teilweise gingen bis zu 60% der Produktion ins Ausland, zumeist in die USA. Stars und Sternchen sowie ambitionierte Privatrennfahrer verliebten sich in den formschönen Typ 356. In Europa gewann Porsche die ersten Rennen mit dem Modell. Die Nachfrage überstieg die Kapazitäten. Mit der Einführung des Nachfolgers 901 (911) verkaufte Reutter das Karosseriewerk in Zuffenhausen zum 1. Dezember 1963 an Porsche und konzentrierte sich auf die Herstellung von Sitzen und Sitzbeschlägen. Der neue Name entsteht aus dem bisherigen: aus „Reutter Carosserie“ wurde der Sitzspezialist RECARO.
Ein hoher Teil der hergestellten Fahrzeuge existiert heute noch. Einen Porsche gibt man nicht so leicht auf! Allerdings sind Fahrzeuge im tatsächlichen Originalzustand heute selten. Reparaturen und Restaurierungen in den vergangenen Jahrzehnten wurden häufig nicht mit der Kenntnis und dem Anspruch von heute durchgeführt. Der Markt hat längst die Bedeutung authentischer Restaurierungen erkannt. In diesem Zusammenhang stellt sich unweigerlich die Frage, wie die damaligen Farbtöne eigentlich ganz genau aussahen.
Um dem auf den Grund zu gehen, startete Guido Eickholz, Inhaber der Firma Erlkönig Classic GmbH im Jahr 2018 ein bisher einzigartiges Recherche-Projekt. Erlkönig Classic verwertet exklusiv die Markenrechte der Familie Reutter, berät Besitzer und Restaurateure und betreibt Handel mit originalen Ersatzteilen, maximal authentischen Reproduktionen sowie Accessoires rund um den Porsche 356.
REUTTER KAROSSERIE by Erlkönig Classic | Home (reutter-karosserie.de)
Ziel des gemeinsamen Projektes war, mit renommierten Porsche-Experten und einem der Hauptlieferanten der damaligen Werks-Originallacke jegliche historischen Quellen pro Farbton zu nutzen. Mit den gesammelten Farbton-Informationen und Mustern dann verbindlich festzulegen, wie die Farbtöne des 356 tatsächlich ausgesehen haben mögen. 60-70 Jahre nach der Herstellung dieser Autos ein wahrhaft archäologisch zu bezeichnendes Vorhaben.
Für Glasurit war es sofort klar, hier im wahrsten Sinn des Wortes mitzumischen. Seit 1955 waren die damaligen Glasurit Werke Max Winkelmann AG Hauptlieferant bei Reutter und lösten dort mit den damals neuartigen Kunstharz-Einbrenn-Lacken die Zeit der Nitrozelluloselacke ab. Demzufolge befinden sich sehr viele Originalbleche im Archiv in Münster. Ein wichtiger Schatz in diesem Projekt.
Als Vorlagen und Muster dienten eben diese im Glasurit-Jargon genannten „Original-Farbtonvorlagen“, auch Farbkarten, Musterkarten und vor allem Teile mit Erstlack. Hier boten sich die A-Säulen-Bleche der 356er an. Sie sind mit wenigen Schrauben leicht zu demontieren und weitgehend vor UV-Strahlung und sonstigen mechanischen Einflüssen geschützt.
Ein riesiger Fundus solcher Zeitdokumente befindet sich im Besitz von Ande Votteler (Fa. Ande Votteler GmbH). Er gilt als Pionier der Authentizitätsbewegung im klassischen Fahrzeugbereich und sammelt schon seit den 90er Jahren bevorzugt unberührte Fahrzeuge, meist Porsche. Ein sehr wichtiger Kompetenzpartner für Authentizität.
Die Firma Erlkönig Classic selbst besitzt viele historische Dokumente und Informationen, u.a. von ehemaligen Mitarbeitern, sowie die des Reutter Archivs und mobilisierte sein weltweites Expertennetzwerk. Große Unterstützung erhält das Farbprojekt von Seiten des Porsche Classic Center Gelderland. Das Unternehmen ist als zertifiziertes Porsche Classic Zentrum auf die fachgerechte Restaurierung der 356 und auch 911 spezialisiert. Hierbei hilft auch das hauseigene sehr große Archiv an historischen Unterlagen.
Waren dies also die besten Voraussetzungen für ein schnelles und einfaches Projekt? Würde es sich um ein aktuelles Fahrzeugmodell handeln, wäre es mit Hilfe moderner Mittel, Datenübermittlung und Messtechnik machbar gewesen. Hier allerdings geht es um Farben, die vor 60-70 Jahren verwendet wurden.
Die Herausforderung der Recherche war, so genau wie möglich den Farbton zu bestimmen, der bei der Herstellung das Werk verlassen hat. Dazu gibt es folgende Haupt-Einflussfaktoren:
a) Farbton-Unterschiede im Produktionszeitraum
Wichtig für dieses Projekt ist die Kenntnis um die möglichst genaue Beschreibung der historischen Gegebenheiten und Einflussfaktoren bei der Lackierung früher und um die verschiedenen Nuancen, die wir gefunden haben. Wie bei allen Fahrzeugmodellen gab es auch schon während der Produktionszeit des 356 viele Nuancen und Varianten, die heller, dunkler, farbiger etc. sein können.
Verschiedene Lackhersteller produzierten Lacke für den 356 an unterschiedlichen Fertigungsstandorten, die Farbton-Übereinstimmung verschiedener Lackchargen desselben Farbtons bewegten sich in einem damals noch großzügigeren Toleranzrahmen als heute und es gab den Übergang von Nitrozellulose- zu Kunstharzlacken. Lackierautomaten gab es nicht, lackiert wurde mit Hand und Spritzpistole. Also spielte auch noch der Einfluss des Lackierers eine Rolle.
b) Viele Jahrzehnte der Alterung
Natürlich gab es speziell für den 356 immer eine große Fangemeinde, sonst gäbe es gar nicht mehr so viele Fahrzeuge. Der 1963 erstmals präsentierte 901 sorgte dafür, dass der 356 mit einem Schlag zum „alten“ Porsche wurde. Bevor die Oldtimerszene entstand, wie sie heute ist, wurden viele 356 zum alten Gebrauchsauto mit mehreren Besitzern. Ein Bewusstsein für „automobiles Kulturgut“ im heutigen Sinne gab es nicht. Komplette Umlackierungen kamen deutlich häufiger vor als heute, Lackmischanlagen kamen erst in den späten 60er Jahren auf. Für Lackreparaturen verwendete man Fertigtöne, die dann getönt wurden. Der „Nuanceur“ war ein angesehener Beruf im Lackierbereich. Restaurierungen im originalen Farbton waren bei weitem nicht so bedeutsam und wertstiftend wie heute. Auch der Trend hin zu originalen, also komplett und weitgehend unberührten Fahrzeugen ist ein Effekt der letzten 20-25 Jahre.
c) Veränderungen im Rohstoffbereich (Speziell Pigmente)
In der Zwischenzeit kam es über viele Jahrzehnte zu Veränderungen im Rohstoffbereich und der Lacktechnologien. Dies bedingt, dass andere alternative Rohstoffe (ausschlaggebend für die Farbtonübereinstimmung sind Pigmente) in die Rezepturen Eingang fanden. Wie oft das seit den 50erJahren der Fall war, ist nicht mehr nachvollziehbar. Je häufiger dies passierte, desto größer ist die Möglichkeit, dass die Ersatzstoffe nicht genau den Eigenschaften der Vorgänger-Rohstoffe entsprechen.
d) Die geforderte Nachfrage nach Genauigkeit
Die Wahl des originalen Farbtons ist heute ein erheblicher Faktor bei der Bewertung eines Klassikers. Heute erlauben moderne Mittel, Methoden und Materialien eine viel genauere Rekonstruktion und Anpassung als es früher der Fall war. Auch die Ansprüche sind dementsprechend anders. Das bedeutet aber nicht, dass sich jeder Fahrzeugbesitzer automatisch für den Farbton entscheidet, der sich als Erstlack auf dem Fahrzeug befand.
e) Reparaturlackierung
Die ausgearbeiteten Mischformeln mit aktueller Pigmenttechnologie sind zur Erreichung des passenden Farbtons perfekt ausgearbeitet. Im Fall einer Reparaturlackierung sind sie nicht verwendbar, da es dabei um die genaue Angleichung an den Farbton der direkt angrenzenden Flächen geht.
Sollte es sich dabei um eine sehr alte Lackierung, evtl. Erstlack handeln, stellten wir bei der Ausarbeitung fest, dass es in einigen Fällen zum Effekt der sog. Metamerie führen kann. Dies bedeutet, dass die Remission verschiedener Pigmente bei unterschiedlichen Lichtarten unterschiedlich ist. Ein Farbton kann in der Spritzkabine gut zum angrenzenden Teil passen, bei anderswelligen Lichtarten (Tageslicht oder Straßenlicht mit Sodium Light, GB) aber sichtbar anders sein. Eine Metamerie bis zu einem Metamerie-Index „Delta E“ von 1,0 ist noch nicht sichtbar, danach steigt der Effekt. Etwa 4 % der ausgearbeiteten Farbtöne sind leicht bis stark metamer. Im Fall einer kompletten Neulackierung mit den zertifizierten Farbtönen spielt Metamerie keine Rolle.
Die folgenden Projektschritte wurden definiert:
Schritt 1: Besprechung des Umfangs
Neben den offiziellen Serien-Farbtönen war es der Expertengruppe wichtig, soweit wie möglich auch die Farbtöne für das Armaturenbrett, die Farben für Garnierleisten, Felgen und Tank zu definieren. Sonder- und Einzelfarbtöne sind im ersten Projektschritt nicht Bestandteil dieses Projektes, könnten aber sukzessive ergänzt werden.
Schritt 2: Verschiedene Karosseriebauer
Es wurde entschieden, dass der Einfluss unterschiedlicher Karosseriehersteller keine Berücksichtigung findet. Neben Reutter gab es auch andere Karosseriebauer und ab 1964 Porsche selbst. Reutter hat die meisten der Porsche 356 Karosserien produziert (und lackiert) und von keinem anderen Produzenten existiert ein eigenes Lack-Nummernsystem, das auch am Fahrzeug im Bereich der A-Säule angebracht war (Dreistelliger Nummern-Code beginnend mit R).
Schritt 3: Lacktechnologie bestimmen
Die Ausarbeitung durch Glasurit erfolgt mit aktueller Lacktechnologie. Damit werden diese Farbtöne weltweit exklusiv mit Glasurit nachmischbar sein. Die Farbtöne werden als Einschicht 2K PUR High Solid Decklack der Reihe 22 sowie als wasserbasierender Basislack der Reihe 90- bzw. 100- oder als lösemittelbasierender Basislack der Reihe 55- ausgearbeitet.
Schritt 4: Sortierung vorhandener Informationen
Die vorhandenen Farbtonlisten wurden analog der offiziellen Hersteller-Liste nach Baujahren sortiert. Dazu weitere Detaillierungen zur ursprünglich verwendeten Lackmarke und Lacktechnologie. All diese Aspekte haben einen Einfluss auf Nuancen und Varianten der jeweiligen Farbtöne.
Schritt 5: Farbton-Codierung recherchieren
Es gab eine unterschiedliche Benennung durch Reutter (3er Zahlencode) und Porsche (4er Zahlencode). Die Umschlüsselung der Reutter und Porsche-Codes befindet sich auf den speziellen Flyern und natürlich in der Farbtondatenbank. Im Fahrzeug selbst war zumeist die R-Nummer angegeben.
Schritt 6: Farbton-Referenz-Muster beschaffen
Pro Farbton wurden verschiedenen Farbtonreferenzen / -muster gesammelt. Dazu gehörten originale Tonvorlagen aus dem Glasurit Archiv, Porsche 356 A-Säulen-Bleche mit Erstlack, Vergleiche an Erstlack-Fahrzeugen, zeitgenössische Farbtonbroschüren und weitere vorhandene Muster aller Art. Die Beschaffung fand mit Hilfe des Netzwerks von Erlkönig Classic und seinen Partnern weltweit statt.
Schritt 7: Farbton-Referenz-Muster qualifizieren
Bei jedem verwendeten Farbtonmuster wurde gemeinsam festgestellt, ob es als Referenz-Muster tatsächlich verwendbar ist. Handelt es sich tatsächlich um Erstlack? Sind die Muster evtl. durch unterschiedliche Einflüsse (Einwirkungen von Gummidichtungen etc.) nicht aussagefähig?
Die Entscheidung, ob sie für einen Farbtonverglich geeignet sind war oft erst nach behutsamer Reinigung mit milden Reinigern und/oder Reinigungsknete möglich.
Schritt 7.1 Noch nicht zertifizierte Farbtöne
Für die bisher noch nicht in diesem Prozess zertifizierten Farbtöne liegen bei Glasurit Lösungen in Form von Lackmischformeln vor.
Es wurden zu diesen Farbtönen bereits Muster und Informationen gesammelt, damit später pro Farbton die Entscheidung zur Auswahl des Originalfarbtons und der Ausarbeitung der Mischformel dokumentiert werden kann. Die Beschaffung von verwendbaren Erstlackteilen ist allerdings eine „Herausforderung“ und wir möchten im Interesse der Qualitätssicherung erst dann eine Entscheidung treffen, wenn genug aussagefähige Informationen vorliegen. Schritt für Schritt werden auch diese Farben diesem Prozess unterworfen. Damit bleibt dieses Projekt weiterhin in der 356 Fanszene lebendig.
Schritt 8: Farbtonausarbeitung, Vergleiche und Freigabe
Nach Ausarbeitung im Glasurit-Farbtonlabor erfolgte für alle Farbtöne eine gemeinsame Freigabe-Entscheidung für die zu zertifizierende Variante. Ein sehr wesentlicher Prozessschritt, den hier zählt die Expertenmeinung.
Schritt 9: Kennzeichnung in der Glasurit-Farbtondatenbank
Damit die speziell ausgearbeiteten Mischformeln leicht zu finden und möglichst nicht verwechselbar sind, werden alle Farbtöne unter dem Hersteller Porsche mit dem Zusatz „Reutter“ angelegt. Die bisher verwendeten Mischformeln bleiben in der Farbtondatenbank unter Porsche weiter gültig für den Fall von Reparaturen an damit lackierten Fahrzeugen.
Schritt 10: Qualitätssicherung
Die Mischformeln der zertifizierten Farbtöne unterliegen einer besonderen Kennzeichnung und Qualitätssicherung bei Glasurit. Veränderungen im Rohstoffbereich, hier besonders Pigmente betreffend, sind aus gesetzgeberischen Gründen (REACH) und Portfolio-Entscheidungen der Hersteller leider nicht selten. Sollte ein Rohstoff einer Reutter-Mischformel betroffen sein wollen wir mit besonderen Maßnahmen sicherstellen, dass die Farben im Fall von Rohstoff-Austausch exakt und konstant bleiben.
Schritt 11: Auslieferungszertifikat von REUTTER Karosserie
Diese Mischformel und Dokumentation werden ein Element des Authentizitätszertifikats (Certificate of Production) von Reutter. Dem neuen „Auslieferungszertifikat de Luxe“ wird dann ein lackiertes Muster beigefügt. In einem zusätzlichen Blatt „Musterbeschreibung“ wird Glasurit als Quelle für die Lackmischformel genannt. Die Mischformeln kommunizieren wir nicht, sie sind in der Glasurit Farbtondatenbank beim Glasurit-Lackierbetrieb vorhanden.
Im Reutter Shop sind auch die für dieses Projekt produzierten Farbtonmusterhüllen und im Originalfarbton lackierte Farbtonmuster zu erwerben.
REUTTER KAROSSERIE by Erlkönig Classic | PORSCHE 356 -Made by REUTTER- Buch - signiert reutter-karosserie.de
Teilnehmende Experten und wesentliche Unterstützer sind:
Guido Eickholz - Inhaber Fa. Erlkönig Classic. Gaildorf, Erlkönig Classic
Ande Votteler - Geschäftsführer Fa. Ande Votteler GmbH, Balingen
Marco Marinello - Weltweit bekannter Porsche Experte
Mark Wegh - Inhaber Porsche Centrum Gelderland / Porsche Classic Center
Freek Janssen - Leiter Porsche Classic Center Gelderland
Helmut Imberge / Ralf Frank - BASF Coatings, Glasurit, Farbtoninformation
Jürgen Book - BASF Coatings, Glasurit, Classic Cars Manager
… und weltweit viele Porsche Enthusiasten, die Originalteile und Informationen zur Verfügung gestellt haben.
Ein herzlicher Dank dafür!